Kleinstverlag mit hohen Idealen: Schwarzwurzelverlag – Verkrustetes Denken aufbrechen.
Die kleinen Verlage sind es in der Regel, die geistiges Neuland erforschen, bevor es von den großen erobert und vermarktet wird. Man denke an die Anfänge der »linken« Literatur oder der feministischen. Kleinstverlage wagen, Qualität über Profitabsichten zu stellen; sie bieten nicht zuletzt Außenseitern und Minderheiten ein Forum, sind im Grunde das demokratische Moment im westlichen Literaturbetrieb.
In Reutlingen gibt es seit einem Jahr einen solchen Kleinstverlag: den Schwarzwurzel-Verlag, der soeben sein viertes Buch herausbringt und für die künftige Arbeit voller Pläne steckt. Geleitet wird er kollektiv von Peter Reifsteck, Thomas Hagenauer und Andrejs Gramatins.
Alles hat damit angefangen, daß ein Kölner Großverlag einen Titel auslaufen ließ, weil eine Neuauflage nicht gewinnträchtig schien. Es handelte sich um die Utopie »Kunde von Nirgendwo« von William Morris aus dem Jahr 1890. Peter Reifsteck, der im Jacob-Fetzer-Buchladen mitarbeitet und wußte, daß es genügend Leute gibt, die sich für gesellschaftliche Denkmodelle interessieren, wollte nicht einsehen, daß ein so wichtiger Diskussionsbeitrag wie der des Engländers William Morris zur Suche nach einer freiheitlichen Gesellschaftsform, die über Kapitalismus und zentralmacht-orientierten Kommunismus hinausweist, nicht mehr greifbar sein sollte. Er bemühte sich um die Nachdrucklizenz, erhielt sie und der Schwarzwurzel-Verlag war geboren.
Die »Kunde von Nirgendwo« wurde in einer Auflage von tausend Stück gedruckt; mittlerweile ist bereits die zweite Auflage in Arbeit. Dieses erste Verlagsprodukt bezeichnet gleichzeitig einen Bereich des thematisch klar umrissenen Schwarzwurzel-Programms, das neben Utopien den Komplex der Ökologie und die Förderung von Nachwuchsliteraten beinhaltet. Warum Utopien? Peter Reifsteck: »Ziel soll nicht die Veröffentlichung direkt umsetzbarer Konzeptionen sein, sondern vielmehr soll ein Beitrag geleistet werden, verkrustetes Denken aufzubrechen und zu neuen Ideen anzuregen. Wer gegenwärtige Zustände bekämpfen will, muß das Ziel seines Kampfs kennen – das ist die wichtigste Aufgabe von Utopien«.
Die zweite wird zur nächsten Frankfurter Buchmesse erscheinen. Es ist eine »Ausgrabung« aus dem Jahr 1844 und stammt von dem nach Amerika ausgewanderten Deutschen John Adolphus Etzler. Ihr langer Titel: »Das Paradies für jedermann erreichbar lediglich durch Kräfte der Natur und der einfachsten Maschinen«. Etzler beschreibt darin eine Gesellschaft, die auf den sogenannten »sanften« Energien fußt, beläßt es jedoch nicht bei der Darstellung der technischen Geräte, sondern schildert auch die zwischenmenschlichen Bedingungen und Ergebnisse dieser utopischen Sozietät.
Die bislang größte Resonanz erfuhren die Schwarzwurzel-Leute auf das kommentierte Kinder- und Jugendbuchverzeichnis zum Thema Ökologie »... denn wir wollen leben«. Lehrer, Bibliotheken und Bürgerinitiativen sind dankbare Abnehmer dieses auf Zuwachs konzipierten Informationsordners, der erstmals alles auflistet, was es für Kinder an Literatur zu Umweltoroblemen gibt.
Mitverleger Thomas Hagenauer ist Autor des ersten Schwarzwurzel-Lyrikbandes, der allein schon von seiner gelungenen Aufmachung her in Verbindung mit Fotografien von Michael Kimmerle besticht. Sein Titel »Wintergarten« weckt nicht von ungefähr Assoziationen an Heines »Deutschland, ein Wintermärchen«. Die Gedichte aus fünf Jahren beschreiben die unmittelbare Betroffenheit des Intellektuellen von seinem politischen Umfeld, benennen die Identifikationsschwierigkeiten mit der realen Demokratie der Bundesrepublik. Sie sind persönlich und doch nicht privat, zeichnen sich nicht zuletzt durch ihre sichere Sprachrhytmik aus.
Zu verdienen ist an dem kleinen Buchunternehmen nichts, bestätigen die Kleinverleger. Die Verluste sind nur dadurch gering zu halten, daß weder Lohnkosten noch Miete anfallen. »Wir sind ein Freizeitverlag«, sagt Andrejs Gramatins, die gesamte Buchproduktion lagert im Wohnzimmer. Dennoch steckt man voller Pläne; neuestes Projekt ist eine Zeitschrift in Buchform für Reutlingen und Umgebung, die, wenn möglich, zweimal im Jahr erscheinen wird. In ihr soll Literatur und Grafik aus der Region veröffentlicht werden, sollen geschichtliche Ereignisse der näheren Umgebung (etwa die 48er Revolution oder die Faschismus-Thematik), die von den herkömmlichen Geschichtsbüchern außer Acht gelassen werden, der Vergessenheit entrissen werden und soll drittens viel Platz zur Verfügung stehen zur Diskussion der aktuellen Stadtentwicklung.